Mehr als Journalismus Slashdot ist ein Beispiel für Online-Publizistik, die sich von bisherigen Medien emanzipiert hat Florian Cramer Die Geschichte von Slashdot ließe sich als typische Erfolgsstory der Internet-Gründerzeit erzählen: Wie eine studentische Hobby-Website zum Sprachrohr einer Netzkultur wird, ihrem Gründer Wohlstand an der Börse beschert, und zwar innerhalb von zweieinhalb Jahren. Im Unterschied zu anderen populären Internetdiensten gibt es bei Slashdot jedoch weder Warenversand, noch die üblichen Suchmaschinen, Chats oder Spiele. Vielmehr richtet sich die Website an Computerkenner und Systemprogrammierer, die freie Betriebssysteme wie GNU/Linux nutzen und deren Open Source-Philosophie verfechten. Indem Slashdot immer feiner an die Bedürfnisse dieser technisch anspruchsvollen Leserschaft angepaßt wurde, ist ein Hybrid aus Nachrichtenticker, Linksammlung, Diskussionsforum und Datenbank entstanden, der die Online-Publizistik um ein neues Format bereichert. Das Grundkonzept von Slashdot ist gleich geblieben, seitdem der Informatikstudent und Linux-Programmierer Rob Malda die Website im September 1997 im Wohnheim des amerikanischen Hope College in Betrieb nahm. Per E-Mail weisen Leser die Slashdot-Redaktion auf aktuelle Netz-Nachrichten rund um Open Source, Computertechnik und Netzpolitik hin. Was die Redaktion interessant findet, landet als Kurzmeldung auf der Hauptseite, Tipgeber und Originalquelle werden mit ihren Netzadressen genannt. Da die Zahl der täglich abgerufenen Slashdot-Seiten im Jahr 1998 auf 50 000 gestiegen war und 1999 auf 800 000 explodierte, stellte sich bald der berüchtigte "Slashdot-Effekt" ein: Sobald eine neue Slashdot-Meldung auf eine Nachrichtenquelle im Web - wie zum Beispiel eine Pressemeldung einer Computerfirma oder ein Internet-relevantes Gerichtsurteil - verweist, versuchen tausende Slashdot-Leser, die angegebene Website aufzurufen und stellen damit deren Server auf die Belastungsprobe. "We've been slashdotted" heißt es oft am Tag danach. 1998 ersetzte Malda Slashdots handgeschriebenen HTML-Code durch ein Datenbanksystem, das nicht nur sämtliche Beiträge archiviert, sondern es Lesern auch erlaubt, Meldungen zu kommentieren und zu diskutieren. Die Website wurde daraufhin zum Geheimtip. In Slashdot-Foren debattierten prominente Open Source-Entwickler, die sich aus überfüllten Newsgroups wie comp.os.linux zurückgezogen hatten. Natürlich dauerte es nicht lange, bis Slashdot vom Newsgroup-Syndrom eingeholt wurde, die Quantität der Diskussionsbeiträge auf durchschnittlich zweihundert pro Nachrichtenmeldung stieg und die Qualität proportional sank. Malda erkannte das Problem und versuchte, es auf hackertypische Weise zu lösen, also mit Programmiertechnik statt mit Zensur. Slashdot erhielt ein Moderationssystem, in jeder Diskussionsbeitrag mit einer Schulnote versehen wird und es dem Leser freigestellt ist, alle Beiträge zu lesen oder nur solche mit einer bestimmten Mindestnote. Trotz des Notendrucks dokumentieren die Slashdot-Foren weiterhin, daß auch Software-Freiheitskämpfer zu Glaubenskriegen und Rechthaberei neigen und viele Anwender Open Source als Konsumwundertüte mißverstehen. Die Slashdot-Macher sind daran nicht unschuldig. Passend zum Slashdot-Image zelebrieren sie einen Lifestyle der "geeks" und "nerds", der introvertierten Computerjungmänner mit Faible für Fastfood und Science Fiction-TV, und lassen ihn von ihrem Hauskolumnisten Jon Katz soziologisierend ausschmücken. Der Bedeutung von Slashdot als Computernachrichtenbörse konnte das ebenso wenig anhaben wie die Tatsache, daß Slashdot seit Februar wirtschaftlich nicht mehr unabhängig ist, sondern dem börsennotierten Dienstleister VA Linux gehört. Nach wie vor schreiben Computerzeitschriften oft und gerne von Slashdot ab. Das Slashdot-Format hat sich als so erfolgreich erwiesen, daß neuere Open Source-Websites wie technocrat.net , Advogato und Kuro5hin es einfach übernommen haben. Rob Maldas Programmcode ist Open Source, die Slashdot-Clones sind deshalb durchaus im Sinne des Erfinders. Slashdot und Co. gewinnen ihre Popularität nicht nur auf Kosten klassischer Newsgroups, die viele Netz-Neulinge schon gar nicht mehr kennen. In den USA sind diese Websites auch an die Stelle der gehobenen Computer-Fachpresse getreten, die dort faktisch nicht mehr existiert, seitdem die Zeitschrift "Byte" eingestellt wurde. Damit gehört Slashdot zur Speerspitze des Online-Journalismus, obwohl es sich um journalistisches Handwerk - einschließlich Orthographie - wenig schert. Rob Malda möchte seine Kreation auch nicht auf das Etikett "Journalismus" beschränkt wissen. Slashdot sei "eine Übermenge des Journalismus" mit Elementen des Kneipengesprächs, des Massenforums und der Zeitung. Andere Online-Medien hatten dies auch versucht. Gescheitert sind sie oftmals an graphisch überladenen Seiten und bizarren Bedienungskonzepten. Daß Slashdot nicht aus anderen Medien heraus konzipiert, sondern konsequent im Internet für Internet-Verständige entwickelt wurde, ist sein Erfolgsrezept. Trotz inhaltlicher Schwächen gibt Slashdot - ein halbes Jahrzehnt nach Erfindung des Online-Journalismus - daher die Anschauung einer eigenständigen Web-Publizistik, die sich von Print, TV und Radio emanzipiert hat.