Open Source-Schmiede in Aktionärshand Zentralisiert "sourceforge.net" die Entwicklung Freier Software? Im Zuge der Börsengänge von Linux-Firmen erlebt die Kultur der Freien Software einschneidende Veränderungen. Ihre vormals dezentrale und selbstorganisierte Infrastruktur wird zunehmend durch zentrale, von Firmen gestellte Dienste ersetzt. Jüngstes Beispiel ist der Internet-Dienst "sourceforge.net", eine öffentliche Plattform für die Entwicklung Freier Software, die das amerikanischen Computerunternehmen VA Linux mit firmeneigener Hardware betreibt und von vier festangestellten Mitarbeitern betreuen lässt. In der Regel entsteht Freie Software in kollaborativen Programmierprojekten, deren Beteiligte über den ganzen Globus verstreut sind und sich per Internet koordinieren. Dies erfordert eine aufwändige Software- und Netzlogistik. Freie Software-Projekte wie z.B. das Grafikprogramm "The Gimp" und der Webserver "Apache" benötigen E-Mail-Verteiler mit Archivdatenbank, FTP-Server zum Herunterladen fertiger Programmversionen, Web-Seiten zur Darstellung und Dokumentation der entwickelten Software und vor allem sogenannte Versionskontroll-Server, ausgefeilte Systeme, mit denen Entwickler Programmteile unabhängig voneinander bearbeiten und ihre Änderungen synchronisieren können. Selbstredend ist alle hierfür nötige Software Open Source, und traditionell sind es Netzcomputer von Universitäten und Forschungseinrichtungen, auf denen Freie Software-Projekte ihre Infrastruktur unterhalten. Seit Januar dieses Jahres offeriert "sourceforge.net" allen Entwicklern Freier Software, die Beherbergung, Installation und Wartung ihrer Projekt-Infrastrukturen vollständig zu übernehmen, und das kostenlos. Dem Ruf sind, nach Angaben von "sourceforge.net", mittlerweile über 2500 Projekte gefolgt. Neueste und bislang prominenteste Zuwanderer sind die Programmierer von KDE, einer verbreiteten Windows-ähnlichen Desktopoberfläche für Linux und andere Unix-Betriebssysteme. So vollzieht sich nun auch in der Programmierung von Freier Software eine Entwicklung, die vor ungefähr zwei Jahren Linux-bezogene Diskussions- und Nachrichtenforen erfasst hat. Die wichtigsten Sprachrohre und Neuheitenbörsen der Freien Software-Kultur sind nicht mehr anarchische Newsgroups wie "comp.os.linux.misc" und "comp.os.linux.announce", sondern die kommerziellen Websites "slashdot.org" und "freshmeat.net", die sich - für eine sonst so Datenschutz-bewusste Hackerkultur pikant - unter anderem durch gezielte kommerzielle Auswertung von Nutzerprofilen finanzieren. Deren Eigentümer ist, seit Februar, ebenfalls VA Linux. Mit "sourceforge", "slashdot", "freshmeat" und schließlich der Internet-Adresse "linux.com" befinden sich wichtige Resourcen der Freien Software im gebündelten Besitz eines privaten Unternehmens. Dabei sind nicht Websites, sondern vorkonfigurierte Linux-PCs und -Server das Stammgeschäft der 1993 unter dem Namen "VA Research" gegründeten Firma VA Linux. Ihr Gründer und Chef Larry Augustin genießt in der Linux-Gemeinde einen ausgesprochen guten Ruf und gehört zu den prominentesten Fürsprechern von Open Source. Sein frühzeitiges Gespür für das Potential des Linux-Betriebssystems wurde im Dezember 1999 beim Börsengang seines Unternehmens belohnt. Innerhalb eines Tages explodierte der Aktienkurs auf 698% des Ausgabewerts und sorgte damit für das nötige Kapital, die wichtigsten Open Source-Websites aufzukaufen und auch die teure Rechner-Hardware und hochqualifizierten Servicekräfte von "sourceforge.net" zu bezahlen. Das bislang einzigartige Zusammenspiel von Hackern und Kommerz in der Freien Software gewinnt dadurch eine neue Qualität. War die Infrastruktur der Entwickler bislang selbstgeschaffen und dezentralisiert, die von Kundendienstleistern wie SuSE, RedHat und VA hingegen traditionell gewerblich ausgerichtet - eine klassische Arbeitsteilung -, so geht nun auch die technische Betreuung der Entwickler in die Hände der Unternehmen über. Aus der Sicht von VA Linux lohnt sich das für beide Seiten: Freie Entwickler profitieren vom Geschäftserfolg der Linux-Industrie, die Linux-Industrie profitiert vom Elan der freien Entwickler. Ähnlich sieht es auch Richard M. Stallman, Erfinder und kompromissloser Verfechter des Freie Software-Konzepts. Gegenüber der BERLINER ZEITUNG erklärte er, "sourceforge.net" sei nach allem, was er darüber wisse, ein "nützlicher Beitrag für unsere Gemeinschaft". Seit den Börsengängen der wichtigen Linux-Firmen bestimmen allerdings nicht nur Hacker und Unternehmer, sondern auch Aktionäre die Regeln des Spiels. Die redaktionelle Unabhängigkeit von "slashdot.org" und "freshmeat.net" und der offene Zugang zu "sourceforge.net" wird nur solange gewährleistet sein, wie das Management von VA Linux Shareholder-Value generiert und sich Geschenke an die Freie Software-Gemeinde leisten kann. Dass sich der Aktienkurs von VA Linux mittlerweile wieder mehr als halbiert hat, ist wahrscheinlich nur Ausdruck einer realistischeren Einschätzung des Linux-Markts. Freie Software-Entwickler sollten sich dennoch die Risiken bewusst sein, wenn sie ihre Infrastruktur Firmen überantworten, die im schlimmsten, aber nicht unrealistischen Fall Opfer feindlicher Übernahmen werden können. Florian Cramer